Artikel

Beratungen verdrängen Einsprachen

Beratungen verdrängen Einsprachen – wenn Baukultur gemeinsam erstritten werden will.
Artikel von: Andreas Gervasi, dipl. Architekt ETH SIA, Mitglied Bauberatergremium Luzern

Das Gremium

Das Bauberatergremium Luzern des IHS verfügt grundsätzlich über drei Möglichkeiten, mit Bauprojekten zu verfahren: nichts zu tun (am einfachsten), Einsprache zu machen (mühsam) oder eine Beratung anzubieten (herausfordernd, spannend).

Einsprachen machen keine Freude – weder den Einsprechern, noch den Eingesprochenen. Juristische Auseinandersetzungen sind zwar in unserem Gewerbe ab und zu notwendig, gehören aber nicht unbedingt zur unmittelbaren Kernkompetenz der Architektinnen und Architekten. Zur Kernkompetenz hingegen sollte die Kommunikation zählen: sei es in Skizzen- und Planform, in Schrift und Strich, in Text und Kommentar, aber auch in mündlicher Form: Diskussion, Diskurs, Vortrag in monologischer Ausprägung und Fachdiskussionen gehören dazu, als Vertretung des Bauberatergremiums auch insbesondere kritisches Hinterfragen und konstruktives Kritisieren. Denn nicht umsonst steckt im Kürzel LUBB das Wort «Berater»: In der Beratungsfunktion kann der IHS moderierend wirken, fordernd auftreten oder hilfreichen Dialog anbieten. Und zwar unabhängig davon, ob gegenüber Architekt, Behörde oder Gesuchstellerin.

Deshalb hat sich in den letzten Jahren der Fokus des Bauberatergremiums weg vom reinen Verhindern und Verzögern – mittels leider oftmals aussichtlosen und teuren Einsprachen – in Richtung Mitwirkung und Beratung verschoben, auf dass die Einsprache nur noch als Ultima Ratio der Wehr oder bei absolut resistenten Gesuchsstellenden eingesetzt werden muss. Denn immerhin verfügt das Bauberatergremium Luzern mittlerweile über zwanzig kompetente Mitglieder, die sich freiwillig und engagiert der Baukultur widmen. 2021 war in diesem Sinne eine Art Wendepunkt in der Arbeit des Gremiums, denn die Beratungen und Mitwirkungen nehmen stetig zu. Mit dem Nachteil, dass der persönliche und zeitliche Aufwand der Bauberaterinnen und Bauberater ebenso stetig steigt, denn es ist eine aufwendige Aufgabe. Wenn die Beratung aber gelingt, so entsteht nicht nur ein Mehrwert für die Bauherrschaft und die Behörden, sondern auch für die Planenden, denn der Beratungsfokus auf die architektonische Qualität stützt manchmal auch den Projektverfasser.


Die Baulandknappheit

Die Überarbeitungen und Revisionen der Bau- und Zonenreglemente in den Gemeinden – infolge der Anpassungen der Raumplanung vom Bund und der Richtplanung der Kantone – haben unter anderem zur Folge, dass einerseits überschüssiges Bauland ausgezont werden muss und zudem Verdichtungen in bestehenden Bauzonen gefordert werden. Der stetige Druck auf die noch vorhandenen Baulandreserven, gekoppelt mit den steigenden Grundstückspreisen, führt dazu, dass die verfügbaren Grundstücke so dicht als möglich überbaut werden müssen. Zudem müssen selbst Parzellen, welche für eine normale Bebauung eigentlich ungeeignet sind, weil sie zum Beispiel an steiler Hanglage oder im Gefährdungsbereich von Naturgefahren liegen, für die Bebauung in Betracht gezogen werden. Dass dabei die Gefahr besteht, dass die städtebauliche und architektonische Qualität zur qualité négligable wird, liegt insbesondere dann auf der Hand, wenn Grundstücksentwickler und Investoren am Werk sind, denn nur die Masse macht’s.

Planungsinstrumente, um Bauzonen zusätzlich dichter als in der Regelordnung vorgesehen bebauen zu können, sind bekanntermassen die Sondernutzungspläne in Form von Gestaltungs- oder Bebauungsplänen. Oftmals ist zudem in den Baureglementen der Gemeinden festgelegt, dass freiwillige Gestaltungspläne möglich sind, jedoch nur auf Basis von qualifizierten Verfahren erstellt werden können. Ergo wird dann einem kleinen eingeladenen Studienauftrag der Deckmantel der Qualifikation umgehängt, um an den SIA-konformen Verfahren vorbei den angestrebten Bonus ohne weiteren Zusatzaufwand einfach zu erhalten. Die Studienaufträge und eingeladenen Wettbewerbe grassieren deshalb in den letzten Jahren, und da das BBGL bereits jurierte Verfahren bis heute nicht nachjuriert, musste schon manche städtebauliche und architektonische Kröte geschluckt werden.


Das Fallbeispiel 2021

Als die Firma Steiner AG Luzern im Oktober 2019 mit der Anfrage zur Stellungnahme für das Gestaltungsplanprojekt Sonnmatt in Vitznau an den IHS gelangte, begann – vorerst mit einigem Vorbehalt und Unbehagen seitens der beteiligten BBGL-Mitglieder – ein zweijähriger Prozess, der letztendlich in einem qualitativ hochwertigen Gestaltungsplan und im April 2021 in einem Bauprojekt endete. Die Parzelle, anspruchsvoll an steiler Hanglage im Gefährdungsgebiet von Naturgefahren, der Investor auf maximale Ausnutzung und der Gestaltungsplanbonus in Form eines zusätzlichen Vollgeschosses bedacht, die Gemeinde auf Unterstützung angewiesen, erwies sich die Ausgangslage für das BBGL also als ausgesprochen interessant.

Die Steiner AG lud vorgängig drei Architekturbüros für einen Studienauftrag mit interner Jurierung ein, Tschuppert Architekten aus Luzern konnten den Auftrag gewinnen. Das aus der Bearbeitung resultierende und für den Gestaltungsplan gereifte Projekt wurde dem IHS vorgestellt und erläutert, woraus eine klare und ablehnende erste Stellungnahme resultierte, weil die qualitativen Voraussetzungen für die Erteilung eines Gestaltungsplanbonus infrage gestellt wurden. Da es sich um ein eigentlich bereits juriertes Projekt handelte, war die positive Überraschung allerdings gross, dass die darauf folgende Überarbeitung wesentliche Kritikpunkte aufnahm und das Projekt sich einerseits redimensionierte sowie in der Setzung und Stellung der Gebäudekörper und im architektonischen Ausdruck verbesserte und insbesondere die Fassadengestaltung sich hochwertig entwickelte.


Oder in den Worten der Architekten:

«Das Richtprojekt Sonnhalde West arbeitet mit drei Baukörpern, die sich die Qualitäten der Hanglage zu eigen machen. Exakt in die Topografie eingepasst, um den Eingriff im natürlich gewachsenen Terrain auf ein Minimum zu reduzieren, erscheinen die Volumen durch ihre geschickte Staffelung kleiner als sie eigentlich sind. Die Umgebung wird naturnah belassen. Die Wohnhäuser sind als Zweispänner organisiert. Zur Seeseite orientiert befinden sich einladende Loggien, die mit vertikalen Stützen rhythmisiert sind. Dieser Stützenrhythmus zieht sich um die Gebäude und wird bei den seitlichen und rückwärtigen Fassaden mit Fenstern und Platten aus Sichtholz ausgefacht. Zum Terrain werden die vertikalen Linien mit Sockelelementen aus Beton abgeschlossen. Die erdigen Farbtöne in der Umgebung werden im Farbkonzept übernommen und mit Lasuren weiterentwickelt. Fassadengestaltung und Dachform fügen sich unaufdringlich in das Orts- und Landschaftsbild ein.»


Das Resultat

Die Beratung, und natürlich auch die immer vorhandene Möglichkeit einer verbandsbeschwerderechtlichen Einsprache seitens des LUBB, führte letztendlich nicht nur zu einer wesentlichen Projektverbesserung. Im Prozess konnten zudem die unterschiedlichsten Interessen miteinander verbunden werden: Der Investor bekam den gewünschten Gestaltungsplanbonus, die Architekten erhielten Unterstützung für die architektonische Prägnanz und die Gemeinde Vitznau ein attraktives und interessantes Bauprojekt.