Veranstaltung

Architektur im Gespräch: Raumplanung muss über die Zonengrenzen hinausdenken

Der Innerschweizer Heimatschutz (IHS) hat zur jährlichen Veranstaltung «Architektur im Gespräch» in die Ermitage Beckenried eingeladen. «Über die Zonengrenzen hinaus» war das Thema der diesjährigen Veranstaltung.

Dörfer wachsen zusammen, Weiler werden ihrer ländlichen Identität beraubt, historische Bausubstanz wird abgerissen, Bäume, Hecken und Steine verschwinden. Beim Bauen ausserhalb der Bauzone passiert der Veränderungsprozess schleichend und unter dem Stichwort «Erneuerbare Energien» soll die Raumplanung plötzlich keine Rolle mehr spielen. Neues wird oft ohne Sorgfalt in die Landschaft eingegliedert.

Wie geht man damit um? Dazu hat der IHS eingeladen und mit Expertinnen und Experten aus Raumplanung, Architektur und Politik an einer öffentlichen Podiumsveranstaltung in der vollbesetzten Ermitage diskutiert. Als Grundlage und Anschauung diente das Beispiel des Obwaldner Projekts «Sarneraatal 2050».

 

Wie sehen die Herausforderungen für die Raumplanung aus?

Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) wurde ab 2014 das Rollenverständnis der Raumplanung verändert. Damit wurden Grundlagen geschaffen, die die Siedlungsausdehnung ausbremst. Dem Bevölkerungswachstum sind damit Grenzen beim zur Verfügung stehenden Siedlungsraum gesetzt worden. Oft ist sich dies die Politik und die involvierten Anspruchsgruppen nicht bewusst. Sind darum die raumplanerischen Ziele –  die notabene über die Zeit die gleichen waren – vor diesem Hintergrund noch adäquat? Braucht jede Gemeinde jede Bauzone, nur weil das Gesetz es wegen der Gemeindeautonomie vorsieht? Soll in den Gemeinden durch fortgesetzte Bautätigkeit «Boden» als vermeintliches Konsumgut versiegelt, aber über gemeindeübergreifende Zentrumsfunktionen oder eine Partizipation unter den Gemeinden nicht nachgedacht werden? Macht der Finanzausgleich vor diesem Hintergrund noch Sinn? Werden raumplanerisch damit Ungleichgewichte geschaffen? Fragen die multidisziplinäre Sichtweisen und Lösungsansätze fordern.

Raumplanung ist Raumgestaltung

Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, wird die Raumplanung zunehmend auch eine gestalterische Funktion wahrnehmen müssen, sind sich die Podiumsteilnehmenden einig. Dies war der Disziplin bisher aber fremd. Damit werden spezifische Instrumente, aber auch Bedürfnisse und Kontexte des Lokalen sowie feingliederige Komponenten des Regionalen immer wichtiger. Dafür braucht die Raumplanung einen gesamtheitlichen Blick. Der Einbezug der lokalen Bevölkerung muss in diesem Prozess stärker berücksichtigt werden. Im Umkehrschluss beklagen die Raumplanerinnen und -planer, dass alles zu technokratisch geworden sei, keine Diskussion mehr stattfinde und am Ende die Gerichte entscheiden. Raumplanung wird damit zur Kapitalplanung, so die zugespitzte Synthese.

Sensibilisierung für Raumplanung

Gelebte Raumplanung ist aber vielmehr ein feines Austarieren von unterschiedlichen Bedürfnissen und Bedingungen. Die Konsequenzen einer nur kapitallogischen Verwertung des Raumes sind sich viele nicht bewusst. Selbstkritisch muss man festhalten, dass Bevölkerung und Politik die Grundlagen für das Verständnis der Zusammenhänge nicht besitzen. Es gibt oft keine Visionen und praktisch keine Visualisierung dessen, was auf der Grundlage der gegenwärtigen Verhältnisse kommen wird; zum Beispiel entsteht Verkehr immer durch die Siedlungsentwicklung, deshalb sind Verkehrsfragen immer auch Siedlungsfragen. Man kann diesen Aspekt nicht isoliert betrachten. Die Richtpläne nehmen jedoch auch hier zu wenig kreative Ideen auf. An diesem Beispiel kann man erkennen, dass qualitativ und inhaltlich ein grosses Defizit besteht. Diese Sensibilisierung muss in den politischen Prozess implementiert und entsprechende Foren geschaffen werden.

Nichtsdestotrotz sind raumplanerische Vorgaben wichtig. Siedlung und Alltag prägen einen Raum über die Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinaus. Aber unter dem Mantel des Raumplanungsgesetzes kann man die Landschaftsentwicklung nicht steuern.

Ein Blick in die Kantone

Ein Blick in die Kantone zeigt, dass im Kanton Uri im oberen Reusstal die Zusammenarbeit unter den Gemeinden vorbildlich gestärkt wurde. Im Gegensatz dazu gibt es in Nidwalden dafür aber kein Gefäss. Die Regierung handelt zwar im Rahmen des Gesetzes, aber wie führt man den Dialog mit einer Gemeinde und der Bevölkerung? Kann die Raumplanung eine positive Vision entwickeln und aufzeigen, wie man den Raum und die gebaute Umgebung entwickeln kann? Das zu formulieren und die vielen Interessenabwägungen positiv zu kalibrieren ist schwierig. Wir sollten aber nicht zu viel zerstören, bevor wir wissen, wohin wir wollen, eine Erkenntnis, die die Podiumsgäste teilten. Das Beispiel aus Sarnen stand dafür Pate.

Erkenntnisse und Forderungen:

  • Unternutzte Areale für die Verdichtung zugänglich machen
  • Begleitgremien in den Gemeinden mit Know-How im Raumplanerischen und im Qualitätsbewusstsein einrichten und für das Beurteilen von Bauvorhaben vor der Bewilligung einsetzen
  • Baukulturelle Werte viel mehr gewichten
  • Flexibilität im Raumplanerischen durch Gebäudekompensation schaffen
  • Gefässe für den Dialog mit und unter den Gemeinden bereitstellen ( Konsequenzen der erwartbaren Siedlungsentwicklung der Bevölkerung vermitteln und Debatten dazu anregen und anstossen).


Der IHS möchte diese Erkenntnisse konkretisieren und lädt Vertreterinnen und Vertreter von Kantonen, Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Organisationen ein, entsprechende überregionale Arbeitsgruppen mit zu entwickeln. Entsprechende Impulse nimmt die Geschäftsstelle des IHS gerne auf: info(at)innerschweizer-heimatschutz.ch

IHS

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